Juni
Zu Besuch in einer Musaharsiedlung nahe Varanasi
Tagebucheintrag von Anika Kretzdorn, Freiburg
13.Juni 2018
Noch liegen dichte Nebelschwaden und der Geruch nach Verbranntem über Varanasi, als Schwester Daisy vom Frauenorden ´Helpers of Mary` uns drei Freiburger vom Hostel abholt. Der Jeep rumpelt auf ausgewaschenen Wegen in Richtung Nordwesten, vorbei an Lehmhütten, Ziegen und mageren Rinderherden. „Da sind wir“, sagt Sr. Daisy nach etwa zwei Sunden Fahrt. Die Kinder der kleinen Siedlung warten bereits auf uns. Sie sind dürftig aber recht sauber bekleidet. Viele haben Beulen an Armen und Beinen, gelbe Strähnen in den Haaren und kahle Stellen auf dem Kopf. Hinter ihnen junge und ältere Frauen, den Sari tief ins Gesicht gezogen. Männer sind nicht zu sehen. Viele aufgeregte Worte und Willkommensgesten.
Dann singen die Kinder artig ein Lied und geleiten uns auf den Dorfplatz. Ein Stück Boden aus gestampfter Erde, umgeben von niedrigen Hütten aus Lehm und Plastikfolien. Ein paar Hühner schwirren aufgeregt umher, im Wasserloch nebenan suhlen sich ein paar Schweine. Drei Plastikstühle werden herbeischafft, wir dürfen Platz nehmen. Kinder und Frauen lassen sich im Halbkreis vor uns nieder. Schwester Daisy stellt uns vor und spricht ein wenig mit den Kindern und Frauen. Dann steht eine ältere Frau auf, berührt unsere Füße, faltet die Hände und murmelt etwas. „Sie bedankt sich im Namen aller für die beiden Brunnen“, sagt Schwester Daisy und gibt ein Zeichen. Daraufhin setzt sich die ganze Truppe in Richtung eines Brunnens in Bewegung. Ein paar größere Buben setzen den Schwengel in Bewegung und sauberes Wasser wird in einem Eimer aufgefangen. Gesichter strahlen, Kinder klatschen. Es wird uns ein Glas frisches, klares Wasser gereicht. Etwas zögerlich nehmen wir es an.
„Bislang“, so Schwester Daisy, „mussten die Frauen das Trinkwasser von weit her anschleppen. Am Dorfbrunnen nebenan dürfen sie kein Wasser schöpfen. Wenn sie es dennoch versuchen, werden sie weggetrieben und gar verprügelt. Mit diesen Leuten hier will keiner etwas zu tun haben. Diese Leute stehen ganz unten, an unterster Stelle. Weiter unten geht nicht".
Auf unsere Frage nach bisheriger Hygiene: „Gewaschen haben sie sich bis dahin in Regenwasserlöchern und Senken. Dort, wo auch Schweine und Hunde baden. Auch die Wäsche wurde in Regenwasserlöchern gewaschen. Trinkwasser war zu kostbar. Seit es die Brunnen gibt, klappt es schon wesentlich besser mit der Hygiene. Jetzt hoffen wir, dass sich mit dem sauberen Wasser auch die Gesundheit stabilisiert. Hier sterben Kinder häufig an Infektionen, verursacht durch unsauberes Trinkwasser und mangelnde Hygiene“.
Natürlich wollen wir auch wissen, wovon diese Leute leben. „Sie verkaufen Brennholz, fangen Ratten, leben von Schlachtabfällen. Einige Männer verdingen sich als Müllsammler in Großstädten“.
Dann werden wir zur ´Schule` gebeten. Eine Tafel mit Buchstaben ist an einer Lehmmauer befestigt. Auf der Tafel stehen Buchstaben und Zahlen. Artig nehmen die Kinder in 6- Reihen vor der Tafel Platz. Eine Schwester zeigt auf Buchstaben und Zahlen und die Kinder rufen eifrig im Chor die Namen. Dann bittet Sr. Daisy alle Kinder, sich in einen Kreis zu setzen. Große Mädchen breiten Blechschalen vor den Kindern aus und die Schulspeisung wird serviert. Reis mit Dhal und etwas Gemüse. „Die Kinder kommen regelmäßig hierher. Sie wissen, dass sie eine Mahlzeit bekommen“. Die Schulspeisung steht jedem Kind per Gesetz zu.
Nach dem Mittagessen besuchen wir eine zweite Siedlung. „Hier sind wir noch nicht so weit, diese Siedlung besuchen wir erst seit ein paar Monaten“.
Schnell stellen wir fest, was Sr. Daisy meint. Die Kinder strahlen nur verhalten, begrüßen uns nur zögerlich und die Frauen trauen sich kaum, ihr Gesicht zu enthüllen. Die Kleidung der Kinder ist verschlissen und sehr schmutzig. „Diese Leute werden nun auch einen Brunnen bekommen. Mit dem Wasser wird neues Leben einkehren“, Sr. Daisy.